2007-12-27

iPhone oder das Jahr des Phantom- Handys

Selbst, wenn man viele Jahre zurückgeht, wird man auf kein singuläres Produkt stoßen, dass das Interesse (oder den Widerspruch) gadgetverliebter Menschen so geweckt hat wie Apples iPhone im ablaufenden Jahr 2007. Etwa der iPod von Apple selbst, der brauchte Jahre, bis er ein Star war. Oder der Blackberry von RIM (Research in Motion): Der wuchs sich nur langsam zum heutigen kultartigen Status aus.


Gehackt und unbrauchbar
Eigentlich war das iPhone den Großteil des Jahres ein Phantom: In den USA wurde es erst ab Mitte des Jahres verkauft, und davor war es bis auf eine einzige Präsentation durch Steve Jobs zu Jahresbeginn unter Verschluss. In Europa ist er nur in drei Ländern seit kurzem im Handel. In Österreich gab es PR-Aktionen zweier Händler, die eine Handvoll grau importierter (offenbar gehackter und dadurch teils unbrauchbarer) iPhones anboten.

Häufiger Gesprächsstoff
Dennoch waren iPhone und iPhone-Sichtungen auch hierzulande häufig Gesprächsstoff. Wie ernst die konkurrierenden Handyhersteller Apple nahmen, konnte man daran sehen, dass die "Look Alikes" teilweise früher als das iPhone selbst auf den Markt kamen, von Samsungs sehr gelungenem F700 bis zum LG-Prada-Phone.

Viele Funktionen werden ein Ganzes
Es gibt neben der Lust am Hype gute Gründe, warum das iPhone in der Technologie-Berichterstattung dominierte - obwohl viele Details (mickrige Kamera, kein Video, kein UMTS, kein GPS) von Konkurrenzprodukten spielend übertroffen werden. Aber Apple hat es geschafft, aus einer Unzahl von kaum noch durchschauten Funktionen ein Ganzes zu bündeln, das Benutzern die vielen neuen Möglichkeiten spielerisch nahebringt.

"Multitouch-Display"
Eine zentrale Rolle spielt dabei das "Multitouch-Display", das Benutzung durch Berührung mit den Fingern anstatt mittels Miniaturtastatur steuert. Natürlich gibt es berührungsempfindliche Displays schon länger, aber meist brauchen sie einen Stift, und es fehlen ihnen Möglichkeiten wie Zoomen durch zwei Finger oder Scrollen am Display. So erfolgreich scheint dieses neue User Interface, dass sich selbst der Handyplatzhirsch Nokia nicht zu gut war, es Ende August als eigene "Vision" seiner kommenden Handygeneration vorzustellen.

Eine wesentliche Qualität
Dazu kommt eine wesentliche andere Qualität: Apple bringt das Internet aufs Handy wie bisher kein anderer Hersteller - durch einen (fast) vollwertigen Browser (Flash fehlt), die bisher unübertroffene Auflösung des Displays und durch spezielle Anwendungen wie Google Maps, YouTube oder jetzt auch Apples Online-Musikdienst iTunes. Und die Synchronisation des Handys mit dem PC oder Mac ist so mühelos wie derzeit bei keinem Konkurrenten.

"Jesusphone"
Damit wird das iPhone noch lange nicht zum "Jesusphone", wie es wegen des Hypes ironisch getauft wurde. Es wird weiterhin Anwender geben, die kein "digitales Schweizermesser" brauchen; die Mails lieber auf "richtigen" Tasten schreiben; die die besseren Kameras der Konkurrenz schätzen: die Apples iPod-Konzept bei Musik und Filmen nicht mögen. Und es gibt Benutzer, denen Apples restriktiver Zugang bei der Netzbetreiberwahl und den Anwendungen, die man am iPhone installieren kann, gegen den Strich geht. Alles gute Gründe, zu anderen Geräten zu greifen - der Handymarkt wird überaus vielfältig bleiben, und auch Google wird hier mitspielen. Aber die Latte liegt jetzt höher. Und Apple seinerseits wird sie bei den Funktionen erreichen müssen, die andere längst besser anbieten.(Helmut Spudich, DER STANDARD, Printausgabe vom 27.12.2007)

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